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  • AutorenbildJana

Schüsse in Nablus

Aktualisiert: 27. Feb. 2022


Blick von der Dachterrasse meines Hostels Turquoise über Nablus.

Mit der Entscheidung nach Israel zu reisen, fiel gleichzeitig die Entscheidung, zumindest einige Tage in Palästina zu verbringen. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich fast kalte Füße bekommen hätte. Geschichten über gelangweilte Soldaten an Checkpoints und damit verbundenen stundenlangen Kontrollen sowie die Tatsache, dass es fast unmöglich ist, von Israel aus Informationen über die Reiseroute zu den Städten in den palästinensischen Autonomiegebieten zu bekommen, hätten mich fast von meinen Reiseplänen abgebracht. Viele Israelis behaupten auf Nachfrage sogar, dass sie von den Städten noch nie gehört hätten. Zusätzlich werden einem abschätzige Blicke zugeworfen.


Aber als ich in meinem Hostel einen Italiener kennenlerne, der auch in den Norden Palästinas, nach Nablus, will, treffe ich meine endgültige Entscheidung: Ich werde einfach zum Busbahnhof laufen und mich von da an durchfragen, bis ich mein Ziel erreicht habe. Und im Nachhinein kann ich sagen, dass ich mir keine Sorgen hätte machen müssen. Von Jerusalem aus fahre ich 40 Minuten nach Ramallah, dort eskortiert mich ein freundlicher Taxifahrer durch die Menschenmenge zum Bus nach Nablus. Weitere anderthalb Stunden später bin ich am Ziel angekommen: im Hostel Turquoise, mitten in der Altstadt.


Doch es dauert etwa einen Tag, bis ich mich in Nablus wohlfühle. Ich befinde mich in den ersten Stunden eindeutig außerhalb meiner Komfortzone. Denn auch wenn mir das natürlich schon vorher bewusst war, wird hier ganz deutlich: Ich befinde mich in einem Krisengebiet. Israelische Militärflugzeuge fliegen Übungen. Tief über der Stadt. Der Lärm ist ohrenbetäubend, eine Konversation unmöglich. Die Zweite Intifada hat Spuren hinterlassen, viele Häuser wurden ausgebombt, überall in der Stadt sind Ruinen zu sehen. Ab und an sind Schüsse zu hören, manchmal weit weg. Manchmal ganz nah, wie gestern Abend. Anscheinend wurde eine Hochzeit gefeiert, zur Feier des Tages feuern die männlichen Gäste Salven ab. Auch daran muss man sich gewöhnen.


Sonnenuntergang in Nablus.

So groß die Umstellung am ersten Tag ist, so schön ist alles, was am zweiten Tag passiert. Nachdem ich am Morgen mit meinem zu dem Zeitpunkt einzigen Hostel-Mitbewohner Rasmus aus Dänemark zu einer Aussichtsplattform gewandert bin, wartet bei meiner Rückkehr schon mein italienischer Freund, den ich in Jerusalem getroffen habe, im Hostel auf mich. Mit dabei: Bayan, eine Palästinenserin, die Edoardo die Gegend zeigt und mich einlädt, sie zu begleiten. Und das nicht nur bei ihrer Tour durch die Stadt...


Zwei Stunden später sitzen wir im Wohnzimmer von Bayans Familie und essen Kubba, Hähnchen, Reis mit Nüssen und Oliven aus dem Garten der Familie. Obwohl ich keinen der Familie kenne und meine engste Bezugsperson Edoardo ist, den ich erst seit ein paar Tagen kenne, fühle ich mich sofort als Teil der Familie. Auch wenn ich definitiv aus der Reihe tanze. Ich bin die Einzige, die sich einfach nicht an die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit gewöhnen kann und nach dem scharfen Essen, Tee und Kaffee erstmal zwei Liter Wasser trinken und mich eine Stunde verschwitzt vor den Ventilator stellen muss.



Ich bin Jana Freiberger, Journalistin, und schreibe auf diesem Blog über meinen Alltag, Reisen und gutes Essen.

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