Zurück zu Dan und B`ezrat HaShem, frei übersetzt: was auch immer die Pläne Gottes sind. Am Donnerstag hat Gott für Dan und mich anscheinend einen ganz besonderen Plan geschmiedet, denn am Nachmittag sitzen mein amerikanischer Freund und ich in einem menschenleeren Krankenhaus im Herzen Tel Avivs. Besser gesagt ich sitze auf einem Behandlungsstuhl und Dan steht sprachlos neben mir, während eine Putzfrau einen Medizinschrank nach den richtigen Medikamenten für mich durchsucht.
Aber von vorne: Es ist Donnerstagvormittag. Dan und ich fahren in den Norden der Stadt, um den Botanischen Garten und das „Museum des jüdischen Volkes“ zu besuchen. Nachdem wir einige Stunden unterwegs sind, sehe ich, dass sich die allergische Reaktion an meinem linken Fuß, in den ich kurz vor dem Start meiner Reise gestochen worden bin, bis über meinen Knöchel ausgebreitet hat. Zeit, endlich einen Arzt aufzusuchen - wie praktisch, dass in der Nähe des Museums ein Ärztezentrum ist. Dort angekommen, teilt uns eine missgelaunte mittelalte Dame mit, dass zurzeit kein Arzt im Dienst sei. Es ist 14.30 Uhr. Die Ärzte haben seit 13 Uhr Feierabend. Warum die Dame dann noch hinter dem Schreibtisch sitzt, werden wir wohl nie erfahren. Wir laufen zur nächsten Bushaltestelle und fragen einen Soldaten nach dem Weg zur nächsten Apotheke. Seine Antwort in der Kurzfassung: Wir sollen einfach irgendwo hinfahren, Apotheken gebe es schließlich überall. Okay, yallah, sagt Dan zielstrebig. Mit Gottes Segen würden wir schon fündig werden. Na dann kann ja nichts mehr schiefgehen.
Im Bus hört ein Israeli mit, dass wir nach einem Arzt oder nach einer Apotheke suchen und nennt uns eine Station, an der wir aussteigen sollen. Die Haut über meinen Knöchel ist mittlerweile knallrot. In der Apotheke schaut sich ein Mitarbeiter kurz meinen geschwollenen knallroten Fuß an und zieht sofort eine Salbe aus dem Regal. Läuft doch. Ich will schon bezahlen, als Dan mich zur Seite zieht. Er hat mittlerweile die Anleitung entziffert, die auf hebräisch geschrieben ist. Anscheinend enthält die Salbe lediglich Zwiebeln und etwas Knoblauch, was meine seit Tagen hartnäckig belibende Allergie (oder inzwischen Infektion?!) wohl nicht heilen kann. Dan fragt den Apotheker nach einer Kortisonsalbe, der schüttelt sofort den Kopf. Kortisonsalben gibt es in Israel nur auf Rezept, auch wenn es sich um kleine Mengen handelt. Auf die Frage hin, wo denn der nächste Arzt sei, zuckt er nur mit den Achseln und sagt: „I am not from Tel Aviv“. Aha...
Ich will nur noch zurück ins Hostel aber Dan lässt nicht locker. Mit Hilfe von Google Maps findet er ein weiteres Ärztezentrum in der Nähe. Auf dem Weg dorthin kommen wir zufällig an einer Arztpraxis vorbei, die geöffnet hat. Hinter dem Empfang sitzen zwei junge Frauen, die in aller Ruhe einen Salat verspeisen. Zur Sicherheit fragen wir nach, aber ja, das ist eine Arztpraxis. Während eine der jungen Frauen in Erfahrung bringt, ob noch ein Termin frei ist, sitzen wir im Wartezimmer der mit teuren Designermöbeln eingerichteten Praxis. Wir sind die einzigen, in der ganzen Praxis scheint niemand zu sein. Dennoch wird uns 15 Minuten später mitgeteilt: „Sorry, the doctor has no time for you today, you can come back on sunday.“ Ja, oder halt auch nicht. Bis dahin hat mein Fuß entweder wieder seine normale Größe angenommen (was er mittlerweile hat), oder eine Amputation ist nötig.
Also ziehen wir geduldig weiter zu dem Ärztezentrum, zu dem wir eigentlich wollten. Eine ältere Dame fragt uns dort angekommen mit einem freundlichen Gesichtsausdruck, wie sie uns weiterhelfen kann. Ich trage erneut mein Anliegen vor und ernte einen erstaunten Gesichtsausdruck. „Sorry darling, but this is a beauty salon.“ Dan und ich sind irritiert. Die nette Dame auch. Wieder draußen schauen wir nach, was über der Eingangstür steht. „Medical Center“ - in großen Lettern. Dan bringt mir einen neuen Ausdruck auf hebräisch bei: Po ze balagan. Was ganz grob übersetzt meint: Was zur Hölle ist hier los. Aber Dan scheint unsere Mission erfolgreich abschließen zu wollen und macht sich auf die Suche nach dem Ärztezentrum. Irgendwo in der Nähe müsse es ja sein.
Und wirklich: Keine fünf Minuten Fußmarsch später sind wir da, eine Schiebetür geht auf und wir stehen vor einem Empfangstisch, hinter dem ein alter Mann mit einer Ray Ben auf der Nase sitzt. Ob das auch wirklich das Zentrum sei, fragt Dan. Langsam erhebt sich der Mann von seinem Tisch und schlendert auf die Schiebetür zu, geht nach draußen und schaut auf das Schild über dem Eingang. Ja, das ist das Ärztezentrum, bestätigt er uns anschließend mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Kein vielversprechender Start. Der Mann scheint sich einfach nur auf dem Stuhl ausgeruht zu haben, mit dem Ärztezentrum hat er vermutlich nichts zu tun.
Wir fahren mit dem Aufzug in den ersten Stock, dort soll man uns angeblich weiterhelfen können. Aber die Etage ist wie ausgestorben. Totale Stille. Als wir gerade wieder gehen wollen, öffnet sich eine Tür. Eine Frau mit blauen Gummihandschuhen, die bis zum Ellbogen reichen, kommt aus einem der Zimmer. Ich frage sie, ob sie weiß, wo ich einen Arzt finden kann. Aber sie scheint kein Englisch zu sprechen. Dan springt ein: „Russian maybe?“ Die Dame strahlt ihn an. „Da.“ Na also. Nachdem Dan ihr meine, beziehungsweise mittlerweile unsere Leidensgeschichte erzählt hat, winkt sie mir zu, ich soll ihr folgen. Wir gehen eine weitere Etage nach oben und sie schließt eines der Behandlungszimmer auf. Sie sagt etwas auf Russisch, Dan übersetzt: Ich soll mich auf den Stuhl setzen und meinen linken Schuh ausziehen. Brav folge ich ihren Anweisungen. Währenddessen durchwühlt die Handschuh-Dame den Medizinschrank. Und wieder sind wir irritiert. Sie scheint keine Krankenschwester zu sein, und sie macht auch keine Anstalten, nach einem Arzt zu rufen. Wahllos zieht sie Nadeln aus verschiedenen Schubladen und legt sie dann wieder zurück, dann schnappt sie sich plötzlich Wattepads, taucht sie in Alkohol und klatscht sie auf meinen Fuß. Dan fasst sich ein Herz und fragt nach ihrem beruflichen Hintergrund. Die Antwort: Sie sei eine der Putzfrauen des Ärztezentrums. Als sie sich umdreht, können Dan und ich nicht mehr an uns halten. Wir pressen unsere Hände vor den Mund, um nicht laut zu lachen, aber uns laufen Tränen übers Gesicht. Okay, es reicht. Po ze balagan. Ich muss die Mission abbrechen. Wir bedanken uns bei der eifrigen Dame und verlassen das Gebäude. Mein Körper muss sich selbst heilen. Es liegt nicht mehr in meinen Händen. B`ezrat HaShem.
Ich bin Jana Freiberger, Journalistin, und schreibe auf diesem Blog über meinen Alltag, Reisen und gutes Essen.
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