Es ist halb zwei Uhr nachts und minus 16 Grad kalt als im Rückspiegel meines Mietwagens plötzlich rote Lettern aufblinken, die mich zum Anhalten auffordern: Polizeikontrolle, rechts ranfahren. Meine Spätschicht ist gerade zu Ende gegangen, ich bin müde, mir ist kalt und der Carsharing-Wagen in dem ich sitze, rechnet pro Minute ab. Der perfekte Zeitpunkt also für die erste Verkehrskontrolle meines Lebens.
Ich bremse, suche in dem fremden Wagen hektisch nach den Fensterhebern und versuche trotz des Bergs aus versifften McDonalds-Tüten, die mein Vormieter auf dem Beifahrersitz hinterlassen hat, einen einigermaßen seriösen Eindruck zu machen. Dass ich es nicht schaffe, das etwas zu laut eingestellte Radio auszuschalten, ist da keine große Unterstützung. Doch die junge Polizistin, die nun neben meiner Fahrertür steht, lässt sich nicht anmerken, dass Leas Hit "Immer wenn wir uns sehen" gerade etwas fehl am Platz ist und beginnt routiniert mit ihren Standardfragen.
Und je länger die Kontrolle dauert, desto mehr weicht meine anfängliche Panik einer freudigen Aufgeregtheit. Denn während ich die Polizistin und ihre beiden hinzugestoßenen Kolleginnen so beobachte, stelle ich fest, dass ich seit Anfang November nicht mehr so viele mir fremde Menschen um mich hatte. In eine Art Party-Modus versetzt kramt mein Körper aus irgendeiner verborgenen Ecke ein paar verkümmerte Glückshormone raus und davon berauscht, hoffe ich plötzlich, dass dieses Fest der Geselligkeit noch ein wenig andauert. Aber leider sind Führerschein und Personalausweis schnell überprüft und dass ich nüchtern bin, glaubt man mir auch ohne Test. Und so werden ich und mein nach Fast Food stinkendes Radio-Charts-Mobil nach einigen Minuten müde aber glücklich wieder auf die leeren und durch die Kälte glitzernden Straßen Hamburgs entlassen.
Dass ich und meine Mitmenschen "etwas erleben" Corona-bedingt mittlerweile anders definieren als noch vor einem Jahr, zeigt sich in den vergangenen Wochen auch an Deutschlands Seen und Kanälen. Kaum hat sich durch die niedrigen Temperaturen auf den Gewässern eine zarte Eisschicht gebildet, zieht es die Menschen (auch mich) wie die Lemminge auf die spiegelglatte Oberfläche; das Risiko, einzubrechen, nimmt man zurzeit für ein paar Minuten Freude offensichtlich billigend in Kauf. Selbst Kinder, die mit kräftigen Schlägen auf das sich erst jüngst gebildete Eis einschlagen, können weder ihre Eltern noch die anderen Eiswanderer aus der Ruhe bringen. In Hamburg gerät ein Mann in die Schlagzeilen, der sogar samt seinem Baby im Kinderwagen über die Alster wandert.
Dabei muss man ja nicht gleich sich selbst und andere in Gefahr bringen, um ein bisschen Spaß zu haben. Würde man unseren Nachbarn fragen, wie er diesen Corona-Winter übersteht, würde er vermutlich anzüglich zwinkern und einen Flyer für seinen ganz privaten Swinger-Club überreichen. Wo? Na, in seiner eigenen Wohnung natürlich. Und dass bei so einer Gelegenheit mal einer der Gäste die Wohnungstür mit der Badezimmertür verwechselt und dann nackt im Flur steht, na, das kommt halt mal vor und sollte von den Nachbarn einfach als weiteres Abenteuer verbucht werden.
Ich bin Jana Freiberger, Journalistin, und schreibe auf diesem Blog über meinen Alltag, Reisen und gutes Essen.
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